EU-Wasserstoffstrategie: Bis 2030 soll Wasserstoff ein wesentlicher Bestandteil des Energiesystems werden

Damit die Europäische Union, wie im großen Green-Deal-Vorhaben vorgesehen, bis 2050 klimaneutral werden kann, braucht es auch Wasserstoff in großen Mengen. Die EU-Kommission hat mit ihrer Anfang Juli präsentierten EU-Wasserstoffstrategie 2020 bis 2050 einen Fahrplan für den Aufbau einer grünen Wasserstoffinfrastruktur in Europa vorgelegt. Grüner Wasserstoff soll mithilfe von EU-Geldern bis 2030 wettbewerbsfähig werden und die Energiewende voranbringen. Europa habe aufgrund des technologischen Vorsprungs sehr gute Voraussetzungen, um zu einem wichtigen Player der künftigen globalen Wasserstoffwirtschaft zu werden.

EU-Wasserstoffinfrastruktur EU Parlament

Foto: EU/Etienne Ansotte

Wasserstoff kann als Einsatzstoff, Brennstoff oder Energieträger und -speicher mit zahlreichen Anwendungsmöglichkeiten in der Industrie, im Verkehr, im Energie- und im Gebäudesektor genutzt werden. Bislang wird Wasserstoff vor allem aus Erdgas und Kohle gewonnen und überwiegend in der Chemieindustrie genutzt. Dabei fällt das Klimaschadgas CO2 an. Dagegen verursachen Gewinnung und Nutzung des mithilfe von Ökostrom erzeugten, sogenannten grünen Wasserstoffs keine CO2-Emissionen.

 

Bei der Entwicklung der grünen Wasserstoffwirtschaft geht die EU-Kommission von drei Phasen aus:

  • 2020 bis 2024: In der ersten Phase besteht das Ziel darin, die für industrielle Verwendungszwecke, etwa in der chemischen Industrie, bereits bestehende Wasserstofferzeugung zu dekarbonisieren und die Nutzung von Wasserstoff für neue Endanwendungen wie industrielle Prozesse und Schwerlastverkehr zu erleichtern. In dieser Phase sollen bis zum Jahr 2024 Elektrolyseure mit einer Leistung von mindestens 6 Gigawatt installiert und bis zu 1 Million Tonnen grüner Wasserstoff erzeugt werden. Zum Vergleich: Derzeit sind in der EU Elektrolyseure mit einer Leistung von etwa 1 Gigawatt installiert.
  • 2024 bis 2030: In der zweiten Phase soll Wasserstoff zu einem wesentlichen Bestandteil des Energiesystems werden. Dazu sollen Elektrolyseure mit einer Leistung von mindestens 40 Gigawatt installiert werden. Die Menge des erzeugten grünen Wasserstoffs soll auf bis zu 10 Millionen Tonnen ansteigen. Durch nachfrageseitige Maßnahmen wird die Nutzung von Wasserstoff allmählich auf Anwendungen wie die Stahlerzeugung, Lastkraftwagen, Schienen- sowie Seeverkehr ausgeweitet.
  • 2030 bis 2050: In der dritten Phase sollten die Technologien für erneuerbaren Wasserstoff ausgereift sein und in großem Maßstab eingesetzt werden, sodass alle Sektoren erreicht werden können, in denen die Dekarbonisierung schwierig ist und alternative Lösungen möglicherweise nicht umsetzbar sind oder höhere Kosten verursachen. Insbesondere Wasserstoff und wasserstoffbasierte synthetische Kraftstoffe könnten in einem breiteren Spektrum von Wirtschaftssektoren (unter anderem Luft- und Schifffahrt) stärker Fuß fassen.

Blauer Wasserstoff ist für den Übergang nötig

„Vorrangiges Ziel“ werde die Entwicklung von grünem Wasserstoff sein. Kurz- und mittelfristig seien jedoch andere Formen CO2-armen Wasserstoffs erforderlich, um die Emissionen rasch zu senken und die Entwicklung eines tragfähigen Marktes zu unterstützen, heißt es im EU-Strategiepapier. Deshalb soll blauer Wasserstoff, der aus Erdgas erzeugt wird und bei dem das anfallende CO2 zum Beispiel unterirdisch gespeichert wird, wie in der deutschen Nationalen Wasserstoffstrategie auch in der EU-Wasserstoffstrategie eine Übergangslösung sein.

Aktuell sind weder grüner noch blauer Wasserstoff mit CO2-Abscheidung gegenüber grauem (fossilem) Wasserstoff wettbewerbsfähig. Die Kosten für erdgasbasierten Wasserstoff werden für die EU derzeit auf etwa 1,5 Euro/kg geschätzt. Für blauen Wasserstoff betragen die Kosten etwa 2 Euro/kg und für erneuerbaren Wasserstoff 2,5 bis 5,5 Euro/kg. Nach EU-Angaben haben sich die Kosten für Elektrolyseure in den letzten zehn Jahren bereits um 60 Prozent verringert.

Bis 2030 würden sie sich aufgrund von Skaleneffekten voraussichtlich halbieren. In Gebieten, in denen Ökostrom sehr günstig erzeugt werden kann, könne grüner Wasserstoff aus der Elektrolyse im Jahr 2030 voraussichtlich mit fossilem Wasserstoff konkurrieren.

EU_Wasserstoffinfrastruktur Vorstellung EU-Kommission

Frans Timmermanns, Vizepräsident der EU-Kommission (Mitte) präsentierte am 8. Juli die
EU-Wasserstoffstrategie 2020-2050
Foto: EU/Claudio Centonze

EU-Wasserstoffstrategie: Investitionsbedarf von bis zu 470 Milliarden Euro bis 2050

Nach Schätzung der EU-Kommission sind für den Bau von Elektrolyseanlagen 24 bis 42 Milliarden Euro bis 2030 nötig. Den Ökostrom für die Elektrolyse sollen neue Sonnen- und Windkraftanlagen in einer Größenordnung von 80 bis 120 Gigawatt erzeugen. Dafür veranschlagt die EU-Kommission zusätzlich 220 bis 340 Milliarden Euro in den darauffolgenden zehn Jahren.

Zusammen mit weiteren Kosten etwa für neue Infrastruktur (Verteilungs- und Transportsysteme, Speicheranlagen und Tankstellen) könnten sich die Investitionen in erneuerbaren Wasserstoff in Europa bis 2050 auf bis zu 470 Milliarden Euro summieren, heißt es im Strategiepapier. Entsprechende Investitionen will die EU-Kommission mit Mitteln aus verschiedenen EU-Töpfen kräftig unterstützen, unter anderem aus dem beschlossenen Corona-Wiederaufbauplan. Sauberer Wasserstoff soll in alle grünen Investitionsinstrumente aufgenommen werden.

Die Entstehung einer Wasserstoffwertschöpfungskette für eine Vielzahl von Industriezweigen und andere Endverwendungen könnte aus Sicht der Kommission in Verbindung mit der EU-Führungsrolle im Bereich der erneuerbaren Technologien direkt und indirekt zu Arbeitsplätzen für bis zu 1 Million Menschen führen. Schätzungen zufolge könnten 24 Prozent der weltweiten Energienachfrage bis 2050 mit sauberem Wasserstoff gedeckt werden, was einem Jahresumsatz von etwa 630 Milliarden Euro entspräche.

Europa soll seine Vorreiterrolle nutzen

Ziel der EU-Wasserstoffstrategie ist es, die Führungsrolle Europas bei Wasserstofftechnologien zu festigen. Im Fokus steht die Sicherstellung einer vollständigen Lieferkette für die europäische Wirtschaft. Dabei spielen Partnerschaften im Energiebereich mit benachbarten Ländern und Regionen eine wichtige Rolle.

Zugleich will die EU die internationale Wasserstoffagenda maßgeblich beeinflussen. So sollen gemeinsame Normen und Methoden sicherstellen, dass ein globaler Wasserstoffmarkt zu Nachhaltigkeit und zur Klimazielerreichung beiträgt. Der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, erklärte dazu: „Die neue Wasserstoffwirtschaft kann ein Wachstumsmotor sein, der zur Überwindung der durch COVID-19 verursachten wirtschaftlichen Schäden beiträgt.“ Bei der Entwicklung und der Einführung einer Wertschöpfungskette für sauberen Wasserstoff werde Europa weltweit eine Vorreiterrolle übernehmen.

Wasserstoffallianz soll Umsetzung unterstützen

Parallel zur Vorlage ihrer Wasserstoffstrategie hat die EU eine „Europäische Allianz für sauberen Wasserstoff“ ins Leben gerufen, um die Strategie mit konkreten Projekten zu unterfüttern und privates Geld zu mobilisieren. Die Allianz, die sich aus Vertretern der Industrie, der Zivilgesellschaft, der Europäischen Investitionsbank sowie nationalen und regionalen Ministern zusammensetzt, soll die gesamte Wertschöpfungskette und alle Interessengruppen in diesem neuen Wirtschaftsbereich vertreten.

Quelle: raffiniert 3|2020

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