Bundesregierung beschließt Nationale Wasserstoffstrategie für Deutschland

Nach einem längeren Vorlauf hat das Bundeskabinett Mitte Juni die Nationale Wasserstoffstrategie für Deutschland beschlossen. Die Regierung gibt damit hinsichtlich der künftigen Entwicklung einen Handlungsrahmen vor. Er umfasst Erzeugung, Transport, Nutzung und Weiterverwendung von Wasserstoff sowie entsprechende Innovationen und Investitionen. Die Reaktionen auf die Nationale Wasserstoffstrategie fielen gemischt aus. Wir fassen die wichtigsten Punkte zusammen.

Grafik Auto, LKW, PV, Wind, H2, Nationale Wasserstoffstrategie

Foto: AA+W – stock.adobe.com

Wasserstoff sei entscheidend für die Dekarbonisierung wichtiger deutscher Kernbranchen wie der Stahl- und Chemieindustrie, aber auch des Verkehrssektors, so die Bundesregierung. Zugleich könnten sich Wasserstofftechnologien zu einem zentralen Geschäftsfeld der deutschen Exportwirtschaft entwickeln.

„Die Zeit für Wasserstoff und die dafür nötigen Technologien ist reif. Wir müssen daher jetzt die Potenziale für Wertschöpfung, Beschäftigung und den Klimaschutz erschließen und nutzen. Denn Wasserstoff wird ein Schlüsselrohstoff für eine erfolgreiche Energiewende sein“, erklärte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) anlässlich der lang erwarteten Einigung. Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller betonte, dass „grüner“ Wasserstoff und seine Folgeprodukte wie Methanol das saubere Öl von morgen werden könnten.

Der Beschluss der Nationalen Wasserstoffstrategie war bereits seit längerem erwartet worden, hatte sich aber, nicht zuletzt auch aufgrund der Corona-Pandemie, immer wieder verzögert. Bereits der Entwurf des Papiers hatte für kontroverse Reaktionen gesorgt.

Ziele für die Nationale Wasserstoffstrategie

In der Strategie zeigt die Bundesregierung auf, wie die Pariser Klimaziele zur Begrenzung der Erderwärmung mit Hilfe von Wasserstoff erreicht werden sollen. Daran geknüpft ist ein sogenannter Aktionsplan, der 38 Maßnahmen enthält, die bis 2023 umgesetzt werden sollen. Grundsätzlich attestiert das Strategiepapier dem Wasserstoff großes Potenzial: „Eine erfolgreiche Energiewende bedeutet die Kombination von Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Umweltverträglichkeit mit innovativem und intelligentem Klimaschutz. Dafür brauchen wir alternative Optionen zu den derzeit noch eingesetzten fossilen Energieträgern. Das gilt insbesondere auch für gasförmige und flüssige Energieträger, die in einem Industrieland wie Deutschland auch langfristig ein integraler Teil des Energiesystems bleiben werden. Wasserstoff bekommt hier eine zentrale Rolle bei der Weiterentwicklung und Vollendung der Energiewende.“

Dabei macht die Bundesregierung zugleich deutlich: Sie setzt dabei langfristig vor allem auf „grünen“ Wasserstoff, der auf Basis erneuerbarer Energien gewonnen wird. Nur dieser sei auch auf Dauer nachhaltig.

Mit diesem sollen folgende Ziele verfolgt werden:

  • Etablierung von Wasserstofftechnologien als Kernelemente der Energiewende, insbesondere um Produktionsprozesse zu dekarbonisieren
  • Schaffung der regulativen Voraussetzungen für einen Markthochlauf der Wasserstofftechnologien
  • Forcierung von Forschung, Entwicklung und Technologieexport rund um innovative Wasserstofftechnologien, um einheimische Unternehmen und deren Wettbewerbsfähigkeit zu stärken
  • Sicherung und Gestaltung der künftigen nationalen Versorgung mit CO2-freiem Wasserstoff und dessen Folgeprodukten

Die Bundesregierung geht allerdings davon aus, dass im Rahmen eines internationalen Wasserstoffmarkts auch CO2-neutraler „blauer“ und „türkiser“ Wasserstoff übergangsweise in Deutschland genutzt werden dürften. Ein Eingeständnis, das insbesondere Klimaschützer kritisch sehen. Näheres zu dem Entwurf des Papieres und Hintergründen der „Farbenlehre“ finden sich in dem Beitrag „Grüner Wasserstoff als Problemlöser“.

Zitat Bundesumweltministerin Svenja Schulze zu grünem Wasserstoff

Foto: BMU – Toni Kretschmer

Wasserstoffgewinnung: 5 Gigawatt bis 2030

Hinsichtlich des angestrebten Markthochlaufs von Wasserstofftechnologien seien im ersten Schritt eine starke und nachhaltige inländische Wasserstoffproduktion und -verwendung unverzichtbar. Ein solcher „Heimatmarkt“ soll nach Ansicht der Bundesregierung zugleich eine Signalwirkung in Richtung Ausland haben. Bis 2030 wird mit einen Wasserstoffbedarf von rund 90 bis 110 Terawattstunden (TWh) gerechnet. Bis dahin sollen deutschlandweit Erzeugungsanlagen von bis zu 5 Gigawatt (GW) Gesamtleistung entstehen – einschließlich der dafür erforderlichen Offshore- und Onshore-Energiegewinnung. Dies entspricht einer grünen Wasserstoffproduktion von bis zu 14 TWh und einer benötigten erneuerbaren Strommenge von bis zu 20 TWh. Dabei, so heißt es in der Nationalen Wasserstoffstrategie, sei sicherzustellen, dass die durch die Elektrolyseanlagen induzierte Nachfrage nach Strom im Ergebnis nicht zu einer Erhöhung der CO2-Emissionen führt. Für den Zeitraum bis 2035, spätestens jedoch bis 2040 sollen weitere 5 GW zugebaut werden.

Bundesregierung setzt auch auf Importe

Dass die zukünftig benötigten Mengen grünen Wasserstoffs nicht allein innerhalb Deutschlands produziert werden können, wird im Papier der Bundesregierung klipp und klar festgestellt. Da die erneuerbaren Erzeugungskapazitäten im Inland begrenzt seien, werde Deutschland auch in Zukunft ein „großer Energieimporteur“ bleiben müssen. Darum will die Bundesregierung internationale Kooperationen und Partnerschaften rund um das Thema „Wasserstoff“ aufbauen und intensivieren. Ein globaler Markt solle zeitnah aufgebaut werden und berge zahlreiche Möglichkeiten. „Deutschland hat jetzt die Chance, im internationalen Wettbewerb eine wichtige Rolle bei der Entwicklung und dem Export von Wasserstoff- und Power-to-X-Technologien (PtX) einzunehmen“, heißt es in der Wasserstoffstrategie.

Dabei würden sich auch für die aktuellen Produzenten- und Exportnationen fossiler Energieträger attraktive Chancen ergeben, Lieferketten auf die Nutzung von erneuerbaren Energien und Wasserstoff umzustellen und so zu potenziellen Erzeugerländern für „grünen“ Wasserstoff zu werden. Eine solche Win-win-Situation hatten im Hinblick auf einen globalen PtX-Markt in der Vergangenheit bereits Frontier Economics und das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln in der Studie „Synthetische Energieträger – Perspektiven für die deutsche Wirtschaft und den internationalen Handel“ herausgearbeitet.

Regierung will Wasserstoff vor allem für die Industrie

Im Zuge des beabsichtigten Markthochlaufs erwartet die Bundesregierung bis 2030 einen ersten Anstieg des Bedarfs an Wasserstoff vor allem im Industriesektor. Für Chemie, Petrochemie und Stahlerzeugung nennt hier die Nationale Wasserstoffstrategie einen zusätzlichen Bedarf von 10 TWh. Die Dekarbonisierung emissionsintensiver Industrieprozesse müsse mittels Wasserstoffes und wasserstoffbasierter Rohstoffe aus PtX-Verfahren vorangebracht und so auch neue Anwendungsfelder für Wasserstoff und PtX-Rohstoffe erschlossen werden. Schätzungen zufolge würde zum Beispiel die Transformation der heimischen Stahlproduktion hin zu einer treibhausgasneutralen Produktion bis 2050 über 80 TWh Wasserstoff benötigen. Die Umstellung der deutschen Raffinerie- und Ammoniakproduktion auf Wasserstoff würde wiederum etwa 22 TWh grünen Wasserstoff erfordern.

Wasserstoffautos und PtX: Wenig Konkretes zu Pkw-Verkehr und Gebäuden

Den Mobilitätsbereich sieht die Bundesregierung offenbar eher nachgeordnet, gleichwohl auch hier ein großes Potenzial identifiziert wird. Wasserstoff- und PtX-basierte Mobilität seien für solche Anwendungen eine Alternative, bei denen der direkte Einsatz von Elektrizität nicht sinnvoll oder technisch nicht machbar ist. Sowohl im Luft- als auch im Seeverkehr wird laut Wasserstoffstrategie der Einsatz klimaneutraler synthetischer Kraftstoffe erforderlich sein. Als Beispiel wird im PtX-Verfahren hergestelltes Kerosin aufgeführt. Im Straßenschwerlastverkehr (Lkw) könnten synthetische Kraftstoffe die batterieelektrische Mobilität ergänzen und die CO2-Emissionen erheblich senken. Auch in bestimmten Bereichen des Pkw-Verkehrs könne der Einsatz von Wasserstoff eine Alternative sein. Hier bleibt die Wasserstoffstrategie jedoch recht vage. Ähnliches gilt für den Wärmemarkt: Er könne „langfristig“ als weiterer Verbraucher hinzukommen.

Aktionsplan mit 38 Maßnahmen zur Erreichung der Wasserstoffziele

Um den in der Nationalen Wasserstoffstrategie verankerten Zielen näher zu kommen, enthält das Papier einen Aktionsplan mit 38 Maßnahmen, die in diesem und den kommenden drei Jahren umgesetzt werden sollen. Dazu gehören zum Beispiel:

  • Der Einsatz für eine CO2-Differenzierung der Lkw-Maut zugunsten klimaschonender Antriebe im Rahmen der Eurovignetten-Richtlinie.
  • Eine Roadmap für eine deutsche Wasserstoffwirtschaft mit internationaler Ausstrahlungswirkung, die gemeinsam mit Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft auf den Weg gebracht werden und Anwendungsszenarien enthalten soll, aus der sich Forschungs- und Handlungsbedarfe ableiten lassen.
  • Eine strategische Bündelung von Forschungsmaßnahmen in einer neuen ressortübergreifenden Forschungsoffensive „Wasserstofftechnologien 2030“.
  • Entwicklung von Konzepten und Umsetzungsoptionen zur Produktion und Vermarktung von grünem Wasserstoff und dessen Folgeprodukten in Partnerländern.

Innovationsbeauftragter und Wasserstoffrat

Die Aktivitäten werden von einem Ausschuss der Staatssekretärinnen und Staatssekretäre der betroffenen Ressorts laufend begleitet. Ständiger Gast wird dabei der neue Innovationsbeauftragte „Grüner Wasserstoff“, angesiedelt beim Bundesforschungsministerium, sein. Diese Position übernimmt der CDU-Abgeordnete Stefan Kaufmann. Der Innovationsbeauftragte wird zudem ständiger Gast im „Nationalen Wasserstoffrat“ sein, der gleichfalls die Umsetzung der Strategie im Auge behalten und den Staatssekretärsausschuss unterstützen soll. Dem 26-köpfigen, unabhängigen Gremium gehören Fachleute aus Industrie, Wissenschaft, Umweltschutzverbänden und Gewerkschaften an. Es kam Anfang Juli erstmals zusammen. Ihm. Zur Vorsitzenden des Wasserstoffrats wurde Katherina Reiche gewählt. Die frühere CDU-Bundestagsabgeordnete und Staatssekretärin ist heute Vorsitzende der Geschäftsführung der innogy Westenergie GmbH.

Ergebnisse sind politisch umstritten

Die Veröffentlichung der Nationalen Wasserstoffstrategie stieß auf ein geteiltes Echo, was in Anbetracht der im Vorfeld geführten Diskussionen nicht anders zu erwarten war. Seitens der Grünen übten Ingrid Nestle, Sprecherin für Energiewirtschaft, und Julia Verlinden, Sprecherin für Energiepolitik, in einem gemeinsamen Statement deutliche Kritik. Die Strategie werde erst glaubwürdig, wenn gleichzeitig erneuerbare Energien massiv ausgebaut würden. Davon sei jedoch nach wie vor nichts zu sehen. Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner monierte auf Twitter: „An der Wasserstoffstrategie wurde monatelang gearbeitet und doch besteht sie größtenteils aus Prüfaufträgen. Nach so vielen Monaten sollte auf die Prüfung auch die Umsetzung folgen!“

Experten sehen noch Nachbesserungsbedarf

Aus Sicht des Verbands der Automobilindustrie (VDA) geht in die Nationale Wasserstoffstrategie zwar in die richtige Richtung, biete aber auch Licht und Schatten. Die ambitionierten Klimaschutzziele können nur erreicht werden, wenn zusätzlich zur Elektromobilität mit grünem Strom auch nachhaltige, regenerative Kraftstoffe im Verkehrssektor zum Einsatz kommen.

Nationale Wasserstoffstrategie Helga Müller Zitat

Foto: www.rolandhorn.de

In mehreren Bereichen sei die Nationale Wasserstoffstrategie nicht konkret und ambitioniert genug. Der Bundesverband der Deutschen Heizungsindustrie (BDH) sieht das Ergebnis hingegen positiv. Die Wasserstoffstrategie schaffe einen geeigneten Handlungsrahmen für die künftige Erzeugung, den Transport und die Nutzung von Wasserstoff. „Mit Blick auf die ambitionierten Klimaziele darf keine CO2-neutrale Option ausgeklammert werden“, sagte BDH-Präsident Uwe Glock. In Bezug auf Zuordnung und Verteilung der Ressource Wasserstoff spricht sich der BDH für einen marktwirtschaftlichen und technologieoffenen Ansatz aus.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) begrüßt zwar den Fokus der Nationalen Wasserstoffstrategie auf die Erzeugung von grünem Wasserstoff, zugleich spricht sie sich für eine Verdopplung der Elektrolyseleistung auf zehn Gigawatt in 2030 und strikte Vorgaben bei der Anwendung aus. „Grüner Wasserstoff hat in Pkw und Heizungen nichts zu suchen“, so Dorothee Saar, Leiterin Verkehr und Luftreinhaltung der DUH. Dies sieht Adrian Willig, Geschäftsführer des Instituts für Wärme und Oeltechnik (IWO) grundsätzlich anders: „Selbst wenn wir bis 2030 zehn Millionen batterieelektrische Fahrzeuge in Deutschland haben sollten, werden dann voraussichtlich noch deutlich mehr als 35 Millionen herkömmliche Pkw auf den Straßen unterwegs sein. Um die Klimaziele zu erreichen, benötigen wir also auch Lösungen für den Bestand, und deshalb ist es beispielsweise richtig, die Herstellung grünen Wasserstoffs auf die Treibhausgas-Minderungsverpflichtungen der Kraftstoffhersteller anrechenbar zu machen.“ Auch darüber hinaus sollten treibhausgasneutrale synthetische Kraftstoffe in den Planungen der Bunderegierung künftig eine größere Rolle spielen – sowohl im Verkehr wie auch im Gebäudebereich. Hier bestehe im Hinblick auf die Wasserstoffstrategie noch Nachbesserungsbedarf.

Zitat Adrian Willig Wasserstoffstrategie

Fazit

Mit der Nationalen Wasserstoffstrategie hat die Bundesregierung nach überwiegender Einschätzung zumindest einen ersten Schritt in die richtige Richtung gemacht. Das Papier zeigt auf, dass die Regierung in Sachen Energiewende nicht nur auf direkte Stromanwendungen setzt. Jetzt wird es darauf ankommen, den Worten auch Taten folgen zu lassen. In vielen Bereichen, gerade im Verkehrs- und Gebäudebereich, bleibt die Wasserstoffstrategie noch ungenau. Hier hatten insbesondere Power-to-X-Befürworter letztlich mehr erwartet.

Die Nationale Wasserstoffstrategie zum Download:

Nationales Reformprogramm 2020 (PDF auf der Seite des Bundeswirtschaftsministeriums)

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