Eckpunkte für anpassungsfähige Wasserstoffstrategie

Experten sind sich einig: Für Deutschlands Kurs auf Klimaneutralität 2045 sind grüner Wasserstoff und E-Fuels notwendig. Anders als beim erneuerbaren Strom aus Wind und Sonne werden diese Energieträger allerdings hierzulande bislang praktisch noch nicht genutzt. Deshalb gibt es auch noch sehr unterschiedliche Einschätzungen, wann welche Wasserstoffmengen zu welchen Preisen zur Verfügung stehen werden.
H2-Produktionsanlage - anpassungsfähige Wasserstoffstrategie

Direkte Elektrifizierung oder Wasserstoff, Elektronen oder Moleküle: „Für den Kurs auf Klimaneutralität 2045 geht es längst nicht mehr um ein entweder oder, sondern um ein sowohl als auch“, erklärte Falko Ueckerdt vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Er ist einer der Autoren des Papiers „Durchstarten trotz Unsicherheiten: Eckpunkte einer anpassungsfähigen Wasserstoffstrategie“, welches kürzlich das das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Kopernikus-Projekt Ariadne als Empfehlung an die Politik vorgelegt hat. Doch hinter grünem Wasserstoff und E-Fuels stünden noch sehr junge Technologien, und damit viele offenen Fragen. „Für die Politik ergibt sich daraus die besondere Herausforderung, trotz technischer Unwägbarkeiten zielführend zu navigieren“, so Ueckerdt. „Wir haben deshalb konkurrierende Leitbilder in der Wasserstoffdebatte untersucht und plausible Wasserstoffpfade entlang der aktuell vorliegenden fünf großen Szenario-Analysen miteinander verglichen. Im Ergebnis legen wir Eckpunkte vor, die Orientierung geben sollen für eine adaptive Wasserstoffstrategie und notwendige Lernprozesse“.

Aus diesen fünf Studien haben die Autoren fünf Eckpunkte für eine anpassungsfähige Wasserstoffstrategie synthetisiert:

Fünf Eckpunkte für eine anpassungsfähige Wasserstoffstrategie

(1) Zunächst empfehlen die Autoren des Ariadne-Projekts, das Angebot an grünem Wasserstoff und E-Fuels vor allem durch Importe schnellstmöglich zu steigern. Der Markthochlauf von Wasserstoff müsse bereits heute mit großem politischem Nachdruck verfolgt werden: Durch gezielte regulatorische Maßnahmen und technologiespezifische Förderung, sowie politische Koordination um einen internationalen Wasserstoffmarkt zu etablieren.

(2) Die Rolle von Wasserstoff und E-Fuels sei in den nächsten Jahren vor allem durch ihre geringe Verfügbarkeit begrenzt, so dass Wasserstoff für den Zeithorizont bis 2030 lediglich eine kleine Rolle spielt. Daher kommen die Autoren zu dem Schluss, dass zunächst eine Priorisierung von Wasserstoff- und PtX in alternativlosen Anwendungsbereichen erforderlich wäre. Explizit erwähnt werden sogenannte „No-Regret-Anwendungen“ wie Industrie (Ammoniak, Stahl), Petrochemie, Fernflug- und Schiffsverkehr. Hinzu kommt: Allein in diesen Bereichen dürfte die Nachfrage das Angebot auf absehbare Zeit übersteigen, so dass ein Markthochlauf durch diese Fokussierung nicht gefährdet sei.

(3) Über die Verbreiterung des Einsatzes von Wasserstoff solle aus Sicht der Ariadne-Experten erst schrittweise entschieden werden – abhängig von realisierbaren Mengen und Kosten. Auch mehr Erfahrung hinsichtlich der tatsächlichen Potenziale bzw. Grenzen des Ausbaus der erneuerbaren Energien und der direkten Elektrifizierung sei entscheidend: „Mit diesen Erkenntnissen können Marktakteure und Politik besser über Einsatzgebiete von Wasserstoff entscheiden und so die Energiesysteme der Zukunft gestalten. Wird hingegen bereits jetzt auf eine breite Verfügbarkeit von günstigem Wasserstoff und E-Fuels gesetzt und diese Erwartungen erfüllen sich nicht, drohen ein fossiler Lock-in, hohe Kosten und eine Verfehlung der Klimaziele“, sagt Benjamin Pfluger von der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie IEG, einer der Autoren der Studie.

Fokus auf Elektrifizierung, „blauer Wasserstoff“ für den Übergang

(4) Wegen der prognostizierten begrenzten Verfügbarkeit von Wasserstoff und E-Fuels empfehlen die Autoren der Eckpunkte für eine anpassungsfähige Wasserstoffstrategie: Auf Kurs zur Klimaneutralität 2045 sollten in einer „Dekade der Elektrifizierung“ die Kapazitäten Erneuerbarer Energien verdreifacht werden, batterieelektrische Fahrzeuge die Pkw-Neuzulassungen dominieren und etwa fünf Millionen Wärmepumpen installiert werden.

(5) Bis eine vollständig grüne Wasserstoffversorgung möglich ist, könne zudem der Import von „blauem“ Wasserstoff mit entsprechender Zertifizierung als „Brücke“ genutzt werden. Blauer Wasserstoff ist Wasserstoff, dessen Erzeugung aus Erdgas mit einem CO2-Abscheidungs- und Speicherungsverfahren (Carbon Capture and Storage, kurz: CCS) gekoppelt wird. Das bei der Wasserstoffproduktion erzeugte CO2 gelangt somit nicht in die Atmosphäre, der Wasserstoff gilt als CO2-neutral.

Große Bandbreite steht nicht für Spielräume, sondern Unsicherheiten und Risiken

Nach 2030 ergibt sich aus der Analyse der fünf Studien eine große Bandbreite der Szenarien im Hinblick auf die Wasserstoff- und E-Fuel-Nutzung. Dies sollte jedoch nicht einfach als technologischer oder politischer Spielraum interpretiert werden, warnen die Ariadne-Autoren, sondern vor allem als Raum der Unwägbarkeiten. Technologische Unsicherheiten erforderten ein schrittweises Vorgehen und eine laufende Anpassung der Wasserstoffstrategie entlang der Lernprozesse, folgern die Autorinnen und Autoren des Ariadne-Papiers.

Eine erfolgreiche Wasserstoffstrategie müsse in eine Klimaschutzstrategie eingebettet werden, die den Unsicherheiten sowohl von Wasserstoff und E-Fuels als auch der direkten Elektrifizierung Rechnung trägt, betonen die Ariadne-Fachleute. Diese integrierte Strategie muss sich weder auf ein Wasserstoff-Leitbild noch auf einen langfristigen Pfad des gesamten Energiesystems festlegen. Stattdessen ermöglicht sie der Politik, gemeinsame Lernprozesse mit der Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft anzustoßen und adaptiv auf Basis neuer Erkenntnisse zu reagieren.

Experten mit unterschiedlichen Ansichten zum breiten Einsatz von Wasserstoffprodukten

Mögliche Herausforderungen bei der Finanzierung und die realpolitische Umsetzung stehen in der Ariadne-Analyse nicht im Fokus. Bei stärkerer Berücksichtigung dieser Aspekte kommen Experten bei der Beurteilung der Einsatzbereiche für Wasserstoff und E-Fuels zu einem anderen Ergebnis, als die Ariadne-Autoren in ihrem Punkt (3). So wird beispielsweise im Kurz-Gutachten „Szenarien und Rahmenbedingungen für die Marktentwicklung von Wasserstoff und synthetischen Folgeprodukten“ von ETR: Economic Trends Research empfohlen, den Straßenverkehr und teilweise auch den Wärmesektor für den Markthochlauf zu nutzen – auch wenn dort die Bedarfe durch Effizienzsteigerung und schrittweise Elektrifizierung zurückgehen. Wenn der Bedarf an Wasserstoff und PtX dort sinkt, könnten nicht mehr benötigten Mengen demnach in den großen Sektoren Luftverkehr, Schifffahrt oder auch als chemischer Rohstoff Verwendung finden.

Im Straßenverkehr gibt es unbestritten sehr gute alternative Antriebstechnologien. Gleichzeitig bestehe aber auch genau in diesem Sektor eine hohe Zahlungsbereitschaft, so dass die zunächst teureren PtX-Produkte ihre Abnehmer fänden. Zudem ist es im Verkehrssektor vergleichsweise einfach, durch nationale und europäische Regulierungen kurzfristig einen Markt für grüne Wasserstoffprodukte zu schaffen und so den Markthochlauf, wie von allen Experten gefordert, zu beschleunigen. Die von den Ariadne-Experten befürchteten fossilen Lock-in-Effekte, ließen sich durch entsprechende Regularien ausschließen.

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