Pkw-Bestand entscheidend für klimaneutralen Verkehr

Strom, Wasserstoff oder synthetische Kraftstoffe: Welche Energieträger im Straßenverkehr der Zukunft eingesetzt werden sollen, ist eine viel diskutierte Frage. Eine aktuelle Studie der Forschungsvereinigung Verbrennungskraftmaschinen e.V. (FVV) zeigt nun: Wie schnell klimaneutraler Verkehr in Europa realisierbar ist, hängt nicht entscheidend vom Antrieb ab, sondern davon, wie rasch klimaneutrale Energieträger für nachhaltige Mobilität zur Verfügung stehen.

Klimaschutz im Verkehr - parkende Autos

Was passiert, wenn ab dem Jahr 2033 in Europa nur noch Pkw zugelassen würden, die nicht mehr mit fossilen Kraftstoffen betankt werden und im Betrieb vollständig CO2-neutral sind? Dieser Frage geht die Studie „Transformation der Mobilität im klimaneutralen und postfossilen Zeitalter“ nach, die das Beratungsunternehmen Frontier Economics und das Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu) im Auftrag der FVV durchgeführt haben.

Denn, so die Studie: Nicht die CO2-Neutralität im Jahr 2050 entscheide darüber, ob die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens eingehalten werden, sondern die kumulierte Gesamtmenge der bis dahin ausgestoßenen Treibhausgase im Vergleich zum berechneten maximalen Treibhausgasbudget, das noch zur Verfügung steht, wenn man das 1,5-Grad-Ziel erreichen möchte. Ziel der Studie ist es, Technologiepfade in Form von 100-Prozent-Szenarien herauszuarbeiten, die geeignet sind, die europäischen Klimaziele im Verkehr einzuhalten.

Das Team um Studien-Projektleiter Dr. Ulrich Kramer (Ford-Werke GmbH) wählte einen ganzheitlichen Cradle-to-Grave-Ansatz, der alle relevanten Emissionen von der Fahrzeugproduktion und dem Aufbau einer nachhaltigen Energiebereitstellung über die Nutzung bis hin zum Recycling berücksichtigt. Dafür wurden auch jene Emissionen einbezogen, die durch den Aufbau der Infrastruktur entstehen, also etwa durch den Bau von Windrädern, Elektrolyseuren oder Ladesäulen. Mit diesem Ansatz wurden die bis zum Jahr 2050 kumulierten Emissionen jeweils für sechs verschiedene Energieträger und sieben unterschiedliche Antriebstechnologien untersucht.

Mix-Szenarien bieten die Lösung

„Nur durch die hier angewendeten 100-Prozent-Szenarien ist es möglich, die kompletten Energieketten einschließlich der Infrastruktur hinsichtlich CO2-Bilanz und Kosten sauber zu vergleichen“, sagt Kramer. Auf der so gewonnenen Datenbasis könnten später Mix-Szenarien berechnet werden, die auch Engpässe bei der Einführung verschiedener Energie- und Antriebspfade detailliert berücksichtigen, so Kramer. Und weiter: „Dabei muss auch die erreichbare Hochlaufgeschwindigkeit des Einsatzes synthetischer Kraftstoffe in der Bestandsflotte berücksichtigt werden.“

Europas CO2-Budget wird schon 2032 überschritten

Ein zentrales Ergebnis der Studie: Unabhängig davon, für welche der 42 untersuchten Technologiepfade sich Europa entscheidet, werde das für Europa angesetzte Treibhausgas-Budget allein durch die Emissionen des Verkehrs bereits um das Jahr 2032 überschritten. Der Grund: Allein die mit fossilen Kraftstoffen betriebene Bestandsflotte verursache rund 70 Prozent der Gesamtemissionen. Studienleiter Kramer zieht daraus folgende Schlussfolgerung: „Je schneller eine Technologie oder ein Mix aus Technologien den Einsatz fossiler Energieträger im Verkehr substituieren kann, desto besser für das Klima. Die Einführungsgeschwindigkeit nachhaltiger Energie im Transportsektor ist der Schlüsselfaktor, um die CO2-Ziele zu erreichen.“

Die kumulierten Emissionen aus dem Verkehrssektor überschreiten das EU-Restbudget für alle Sektoren, das für das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels zur Verfügung steht

Unabhängig von der Wahl alternativer Energieträger und Antriebstechnologien dominiert der Fahrzeugbestand die Gesamtemissionen des Verkehrssektors

Bei gleicher Einführungsgeschwindigkeit unterscheiden sich die verschiedenen in der Studie untersuchten Technologiepfade nicht allzu sehr hinsichtlich der kumulierten CO2-Emissionen im Zeitraum 2021 bis 2050: Die Bandbreite zwischen dem klimafreundlichsten Szenario – eine Umstellung auf grünen Wasserstoff und dessen Nutzung in Verbrennungskraftmaschinen – und dem schlechtesten Fall, der Nutzung in Deutschland produzierter synthetischer Kraftstoffe, hier genannt Fischer-Tropsch-Kraftstoffe, liege gerade einmal bei 14 Prozent. Verzögerungen oder Beschleunigungen bei der Einführung eines Technologiepfades änderten diese Reihenfolge drastisch. „Die möglichen Einführungsgeschwindigkeiten zu berücksichtigen, ist daher essenziell für die Festlegung effizienter Klimastrategien“, betont Kramer.

Kumulierte Treibhausgas-Emissionen des europäischen Verkehrssektors 2021 bis 2050

Die Studie berücksichtigt alle relevanten Treibhausgas-Emissionen von der Fahrzeugproduktion über die Nutzung bis hin zum Recycling ebenso wie den Aufbau einer nachhaltigen Energiebereitstellung einschließlich der notwendigen Infrastruktur. Bei dieser Betrachtung bestehen nur geringe Unterschiede zwischen verschiedenen Energieträgern.

Benötigte Energiemengen abhängig von Antriebstechnologie

In vielen anderen Punkten unterscheiden sich die untersuchten Antriebstechnologien. So schwankt die Menge der für den Verkehrssektor in 2050 benötigten Energie zwischen 2.000 und 10.000 Terrawattstunden – wobei batterieelektrische Fahrzeuge erwartungsgemäß den geringsten Bedarf haben. Die Studie zeigt aber auch: Werden synthetische Kraftstoffe in sonnen- oder windreichen Regionen außerhalb Europas produziert, würde für Brennstoffzellen nur etwa zweimal, für Verbrennungsmotoren etwa drei- bis viermal so viel Strom benötigt wie für die rein batterieelektrische Mobilität.

Das fällt zudem weniger ins Gewicht, wenn man die standortabhängige Produktivität von Anlagen zur Erzeugung erneuerbaren Stroms berücksichtigt. Denn anders als beim Ladestrom für batteriebetriebene Fahrzeuge in Deutschland können für die Ökostromerzeugung für Wasserstoff und E-Fuels deutlich ertragreichere Standorte weltweit genutzt werden. Das geht aus der Studie „Der Effizienzbegriff in der klimapolitischen Debatte zum Straßenverkehr“ aus dem Jahr 2020 von Frontier Economics hervor.

Außerdem weisen die Autoren der FVV-Kraftstoffstudie darauf hin: Auch für den Betrieb reiner E-Autos in einem völlig nachhaltigen Energiesystem würden erhebliche Elektrolysekapazitäten benötigt, um durch die Produktion, Speicherung und Rückverstromung von Wasserstoff in sogenannten „Dunkelflauten“ die Energieversorgung für den Verkehr zu sichern. Bis 2050 erfordere reine E-Mobilität aus heimischen Quellen den Aufbau einer Elektrolyse-Kapazität von rund 1.000 Gigawattstunden. Das ist fast genauso viel, wie für ein reines Brennstoffzellenszenario benötigt werde. Zum Vergleich: Aktuell plant die EU, bis zum Jahr 2030 für alle Sektoren eine Elektrolysekapazität von 40 Gigawatt zu errichten.

Für alle Szenarien ist ein erheblicher Ausbau der Grünstromproduktion notwendig. Selbst im energieeffizientesten Szenario, der 100-prozentigen Umstellung auf batterieelektrische Mobilität, benötigt Europa eine heimische Erzeugungskapazität von 1.100 Gigawatt in 2050, um alle Mobilitätswünsche zu erfüllen. Zum Vergleich: Die Erzeugungskapazität für Sonnen- und Windstrom für alle Sektoren steigt in Europa nach Einschätzung der Internationalen Agentur für erneuerbare Energien bis zum Jahr 2030 auf lediglich 690 Gigawatt.
Rohstoffknappheit droht selbst in Kreislaufwirtschaft

Durch die bewusst gewählte Methodik mit sogenannten „100-Prozent-Szenarien“, lassen sich aus Sicht der Studienhersteller die Umweltauswirkungen einzelner Technologien über die gesamte Energiekette und den Lebenszyklus des Fahrzeugs gut vergleichen und Engpässe feststellen. Gleiche man etwa den Bedarf an kritischen Rohstoffen mit vorhandenen Reserven und Ressourcen ab, zeigt sich, dass selbst unter Annahme hoher Recyclingquoten bestimmte Rohstoffe nach heutigem Kenntnisstand äußerst knapp werden könnten, sofern der Rest der Welt auf dieselbe Technologie setzt. Welche Rohstoffe das sind, hänge von der gewählten Kombination aus Energieträger und Antrieb ab.

Grünes Methanol als preisgünstigste Option

Wenn alle Kosten für den Infrastrukturaufbau sowie die Mehrkosten für alternative Antriebe bis zum Jahr 2050 zusammengerechnet werden, hat in der volkswirtschaftlichen Gesamtbetrachtung ein anderes Szenario als die reine E-Mobilität die Nase vorn: Dann bestehe die günstigste Alternative für einen klimaneutralen Verkehr darin, auf Ökostrom-Basis erzeugtes Methanol als Energieträger einzusetzen. Auf Platz drei des Rankings liegen synthetisch hergestellte alternative Kraftstoffe als Benzin- und Dieselersatz. Am teuersten sei batterieelektrische Mobilität, gefolgt von der Kombination Wasserstoff und Brennstoffzelle. „Das liegt an den hohen Fahrzeug-Mehrkosten, die die Gesamtkosten dominieren“, erläutert Kramer. „Erfreulich ist aus Kramers Sicht, „dass die komplette Defossilisierung des europäischen Verkehrs nicht mehr als etwa ein Prozent des europäischen Bruttosozialprodukts pro Jahr über 30 Jahre kosten muss“.

Mehrere Technologiepfade ermöglichen klimaneutralen Verkehr

Die Transformation des Verkehrssektors werde aus Sicht der Studienautoren unausweichlich scheitern, wenn die europäische Politik die Bestandsflotte weiterhin außer Acht lässt und die Klimaverträglichkeit von Neufahrzeugen ausschließlich anhand der Tank-to-wheel- Emissionen misst. Sollen die gesamten mobilitätsbedingten CO2-Emissionen schnell gemindert werden, sei es zwingend geboten, neue Ziele zu definieren. Diese sollten im Sinne einer Cradle-to-grave-Betrachtung die Emissionen aus dem Aufbau der zugehörigen Energie-Infrastruktur berücksichtigen und damit auch über einen „Well-to-Wheel“-Ansatz hinausreichen.

Die europäische Politik müsse einen marktwirtschaftlichen Rahmen für den Verkehrssektor schaffen, so dass sich mehrere Technologiepfade parallel etablieren können. Werden mehrere Pfade parallel verfolgt, um aus der Nutzung fossiler Energieträger auszusteigen, sei zudem eine höhere Hochlaufgeschwindigkeit wahrscheinlich.
Ein solches Vorgehen diene nicht nur dem Klimaschutz, sondern minimiere auch die volkswirtschaftlichen Gesamtkosten, die von den Fahrzeugkosten dominiert werden. Kostenvergleiche ohne Berücksichtigung der Fahrzeugkosten sind daher kritisch zu betrachten. Technologieoffenes Vorgehen ermögliche es zudem, individuelle Mobilität für breite Schichten der Bevölkerung bezahlbar zu halten.

 

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