Grüne Energie aus der MENA-Region

Grüner Wasserstoff und daraus hergestellte Folgeprodukte wie E-Fuels für den Verkehrssektor werden größtenteils importiert werden müssen, da erneuerbarer Strom in Deutschland auf absehbare Zeit ein knappes Gut bleiben wird. Das Studienprojekt MENA Fuels hat für die Länder des Nahe Ostens und Nordafrikas „kostengünstiges Potenzial“ für erneuerbare Energie sowie für den Export von Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen ermittelt und Empfehlungen für eine Importstrategie formuliert.

Thermomanagement von E-Autos

Ob neben direkter Elektrifizierung künftig auch strombasierte synthetische Kraftstoffe Pkws antreiben sollen, ist nach wie vor umstritten. Dass Wasserstoff und E-Fuels für den Schwerlastverkehr über weite Strecken in Lkws und für den Personen- und Gütertransport per Flugzeug und Schiff gegenüber dem Direktstromantrieb die geeignetere Lösung darstellt, ist weitgehend anerkannt. Für einen Einsatz in Pkws mit Verbrennungsmotor spricht aus Sicht der Befürworter allein schon die große Anzahl der Fahrzeuge, die bereits auf der Straße unterwegs sind (ca. 45 Mio.) und solche, die bis 2035 neu zugelassen werden. Auch in der Bestandsflotte müssen die THG-Emissionen sinken, damit die Klimaschutzziele erreicht werden können, so das Argument.

Woher sollen grüner Wasserstoff und daraus gewonnene E-Fuels kommen?

Weil nicht nur der Verkehr, sondern auch die Industrie und der Gebäudesektor viel erneuerbaren Strom (direkt oder indirekt) benötigen werden und das Ökostrompotenzial in Deutschland begrenzt ist, stellt sich die Frage, wo und zu welchen Kosten werden grüner Strom, Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe und Grundstoffe produziert? Welcher Teil der Nachfrage kann heimisch erzeugt und wie viel muss importiert werden? Das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) im Rahmen der Forschungsinitiative „Energiewende im Verkehr“ geförderte Studienprojekt MENA Fuels hat sich diesen Fragen gewidmet.

In verschiedenen Teilprojekten haben die beteiligten WissenschaftlerInnen (1) die mögliche Rolle synthetischer Kraftstoffe bei der Dekarbonisierung des Verkehrs in Deutschland untersucht und dabei auch Daten/Ergebnisse anderer Studien genutzt. Ausgehend von den Ergebnissen zur Nachfrageentwicklung bei erneuerbarem Strom, grünem Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen für den Verkehr sowie dem Bedarf in anderen Sektoren bis 2050 (Teilprojekte A), haben die Forschenden insbesondere betrachtet, welche Rolle zukünftig der MENA-Region (Mittlerer Osten und Nordafrika) bei der Versorgung Deutschlands und der EU zukommen könnte (Teilprojekte B).

Studienprojekt MENA Fuels liefert Antworten mit Fokus auf Naher Osten und Nordafrika

Für die Studie haben die Forschenden erstmals die ganze MENA-Region hochaufgelöst hinsichtlich der technischen Potenziale, den Produktionskosten und dem Investitionsumfeld untersucht. Dabei wurden erstmals auch die Investitionsrisiken für jedes betrachtete MENA-Land abgeschätzt und eingepreist. Die Studienersteller identifizieren für insgesamt 17 Länder der Mena-Region langfristig sehr große kostengünstige Potenziale für den Export von grünem Strom, Wasserstoff und Synfuels. Gleichzeitig verweisen sie auf große Bedeutung des Investitionsumfelds („Länderrisiken“) für die Standortwahl. Zu den untersuchten Ländern der MENA-Region zählen unter anderem Ägypten, Marokko, Tunesien, Jordanien, Oman, Iran und Saudi-Arabien.

Energienachfrage im Verkehr 2050

Szenarien Innovative Antriebe, Brennstoffmix und Klassische Antriebe

Um Aussagen zu Kraftstoffversorgungspfaden treffen zu können, muss zunächst die Nachfrageentwicklung betrachtet werden: Wieviel Wasserstoff wird wann nachgefragt, wieviel synthetischer Diesel, wieviel THG-neutrales Kerosin? Welche anderen Kraftstoffe werden benötigt?

Für die Energienachfrage im Verkehr haben die Studienersteller drei Szenarien modelliert: „Innovative Antriebe“ (Fokus auf Elektrofahrzeuge), „Klassische Antriebe“ (Fokus auf synthetische Kraftstoffe) und „Brennstoffmix“ (Strom, Wasserstoff, synthetische Kraftstoffe). Sie decken eine Bandbreite möglicher Entwicklungen ab. Alle drei basieren auf den gleichen Fahrleistungen je Verkehrsbereich, die mit unterschiedlichen Kraftstoffstrategien bedient wird. Auch die Nachfrageentwicklung des Industriesektors nach regenerativ erzeugtem Wasserstoff und Feedstocks und Entwicklung der Stromnachfrage des „umgebenden Energiesystems“ wird mitberücksichtigt, nicht aber beispielsweise der Raumwärmemarkt. Die Energieerzeugung im Modell basiert ausschließlich auf Wind- und Solarenergie, es wird also nur ein regenerativer Anteil des Energiesystems modelliert.

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 Die Energienachfrage der betrachteten Sektoren in Deutschland im Jahr 2050

Danach beträgt die Energienachfrage im Jahr 2050 im Szenario „Innovative Antriebe“ rund 320 TWh, im Brennstoffmix-Szenario rund 380 TWh und im Szenario „Klassische Antriebe“ rund 530 TWh. In der Industrie werden 2050 rund 100 TWh (davon die Hälfte Wasserstoff) zudem rund 200 TWh Wasserstoff für die regelbare Strom- und Wärmeerzeugung benötigt. Weitere 500 TWh als sonstige Stromnachfrage werden laut der Studie aus dem umgebenden Energiesystem nachgefragt werden.

Das Szenario „Brennstoffmix“ (BM) stellt aus Sicht der Forschergruppe „eine plausible Entwicklung des Verkehrssektors dar“.

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Anteil der Energieträger an der Fahrleistung im Szenario Brennstoffmix im Jahr 2050

Industrielle Nachfrage nach Wasserstoff und synthetischen Stoffen

Für die Abbildung der industriellen Nachfrage nach Wasserstoff und synthetischen Grundstoffen berücksichtigen die MENA-Fuels-Studienersteller die Industriezweige Rohstahlerzeugung, Ammoniakherstellung und Petrochemie, da hier signifikante Nachfragemengen nach Wasserstoff und regenerativ erzeugten Kohlenwasserstoffen erwartet werden. Dazu nutzen sie bestehende Szenarien des Wuppertal Instituts aus der Studie „Klimaneutrales Deutschland 2050“ (2020). In der MENA-Fuels-Studie werden allerdings nur Wasserstoff und Kohlenwasserstoffe berücksichtigt, weitere Energiebedarfe wie Industrieöfen, Dampf oder mechanische Energie werden nicht betrachtet. In der Petrochemie kommen Wasserstoff und Kohlenwasserstoffe für die Herstellung so genannter High Value Chemicals (HVC) zum Einsatz. Für Ammoniak wird damit gerechnet, dass es ab 2020 eine Nachfrage nach regenerativ erzeugtem Ammoniak gibt, die bis 2050 deutlich ansteigt.

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Energieträgernachfrage in der Petrochemie in Deutschland

Eine vollständige Datenübersicht für alle drei Szenarien, alle europäischen Länder und alle betrachteten Sektoren findet sich im Anhang 7.2 des Teilberichts 5 der Mena-Fuels-Studie.

Kernergebnisse der Studie MENA Fuels

Hohe Potenziale bei Menge und Erzeugerkosten

Die MENA-Region hat laut MENA-Fuels-Synthesebericht mit insgesamt mehr als 400.000 Terrawattstunden pro Jahr sehr große technische Erzeugungspotenziale an erneuerbaren Energien (PV, Wind), entsprechend groß sind die Potenziale für die Produktion von grünem Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen. Je nach Entwicklungsszenario sind diese um den Faktor 60 bis 1.200 höher als der potenzielle Bedarf in Deutschland im Jahr 2050. Dabei wurde der mögliche Eigenbedarf der MENA-Länder schon eingerechnet. In den günstigsten Standorten, Länder mit guten technischen Potenzialen und stabilen Investitionsbedingungen, liegen die Kraftstoff-Gestehungskosten im Jahr 2030 unter positiven Investitionsbedingungen bei 1,92 bis 2,65 Euro pro Liter und im Jahr 2050 bei 1,22 bis 1,65 Euro pro Liter. Die Technologie- und Prozessentwicklung zur Herstellung von Wasserstoff und synthetischer Kraftstoffe wird im Jahr 2030 so weit fortgeschritten sein, dass die Produktion im industriellen Maßstab erfolgen kann.

Strombedarfsdeckung im Erzeugerland geht vor

Eine zentrale Voraussetzung für Importe aus der MENA-Region ist jedoch, dass die Erneuerbaren dort zunächst primär für die Abdeckung der weiter ansteigenden lokalen Stromnachfrage stark ausgebaut werden müssen. Erfahrungen aus der Vergangenheit haben gezeigt, dass allein auf den Export ausgerichtete Ausbaustrategien erneuerbarer Energien nicht zuletzt aus Mangel an Akzeptanz vor Ort zum Scheitern verurteilt sind. Der Blick auf die Potenziale muss also immer vorrangig die inländische Versorgung berücksichtigen, betonen die Studienersteller. Den erforderlichen Ausbau an Erzeugungskapazitäten für Solar- und Windstrom zur Eigenversorgung in der MENA-Region schätzen sie je nach Szenario auf 4.500 GW bis knapp 9.000 GW bis zum Jahr 2050. Solche Größenordnungen seien nicht im Ansatz in den derzeitigen Ausbauzielen der meisten MENA-Länder abgebildet. Für eine industrielle Produktion von Wasserstoff und Synfuels müssten folglich der EE-Ausbau deutlich intensiviert werden. „Idealerweise sollten sich beide Zielsetzungen – inländische Versorgung und Export – gegenseitig verstärken“, heißt es im Synthesebericht der Studie. 

Investitionsumfeld entscheidend für die Gesamtkosten von grünem Wasserstoff

Indem im Gegensatz zu anderen Untersuchungen erstmals individuelle Länderrisiken für die betrachteten Länder berücksichtigt und in Kosten-Potenzial-Analysen einbezogen wurden, konnten die Forschenden zeigen, dass diese Risiken einen signifikanten Einfluss auf die resultierenden Gesamtkosten des Wasserstoffs und seiner Folgeprodukte und damit auf die Auswahl potenzieller Exportländer haben. Dr. Peter Viebahn, Co-Leiter des Forschungsbereichs Sektoren und Technologien am Wuppertal Institut und Leiter der MENA-Fuels-Studie, sagt: „Es kommt daher darauf an, dass langfristige stabile politische Rahmenbedingungen für einen Markt von grünem Wasserstoff sowie synthetischen Folgeprodukten geschaffen werden. Gleichzeitig spielen politische Stabilität und Investitionsrahmenbedingungen in den potenziellen Produzentenländern der MENA-Region eine entscheidende Rolle.“

Kapitalkostenniveau in MENA-Ländern muss echter Wettbewerbsvorteil sein

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt das parallel entwickelte globale Handelsmodell des Instituts für ZukunftsEnergie und Stoffstromsysteme (IZES), das eine Vielzahl weiterer Länder außerhalb der MENA-Region berücksichtigt und zusätzlich Transportkosten, Handelsbeschränkungen (Embargos) und Zölle mit einbezieht. Danach sind die MENA-Länder trotz geringer Erzeugungskosten und sehr großer Exportpotenziale nur dann interessante Partner für Deutschland oder die EU, wenn die Kapitalkosten, in die auch Risikofaktoren eingehen, für Investoren ein Niveau erreichen, das zu einem wirklichen Wettbewerbsvorteil führt.

„Planungssicherheit spielt für Investoren eine zentrale Rolle.“

Dr. Peter Viebahn

Leiter der MENA-Fuels-Studie, Wuppertal Institut © Wuppertal Institut

© Wuppertal Institut

Transportkosten von Wasserstoff und Synfuels vergleichsweise gering

Gemäß der Modellergebnisse würde der Transport von grüner Energie von MENA nach Europa vorwiegend in Form von Wasserstoff und Synfuels erfolgen. Der Grund sind die vergleichsweisen geringen Transportkosten und die bessere Ausnutzung der Erzeugungspotenziale am Herstellungsort. Strom hingegen würde (nahezu) vollständig innerhalb Europas produziert werden. Die bevorzugte Transportform für im Jahr 2050 ist der Transport über Pipelines, dabei dominiert der Landtransportweg. Die größten Energiemengen werden in Form von synthetischem Kerosin, Methan und Wasserstoff transportiert. Der Tankertransport spielt danach eine untergeordnete Rolle (MENA-Fuels Teilbericht 6, Nov. 2022).

Fazit: Deutschland muss seine Importstrategie weiterentwickeln

Die MENA-Fuels-Studie verdeutlicht, dass Deutschland trotz Erneuerbaren-Ausbaus, Effizienzsteigerung und Elektrifizierung langfristig große Mengen erneuerbarer Energie, grünen Wasserstoffs und grüner Kohlenwasserstoffe importieren werden muss, um seinen Energiebedarf decken und zugleich Klimaneutralität erreichen zu können. Die Bundesregierung muss vor diesem Hintergrund ihre Importstrategie zügig weiterentwickeln. Die Studie hat dazu wichtigen Input geliefert. Um Planungssicherheit für Investoren zu schaffen, braucht es stabile politische und regulatorische Rahmenbedingungen für einen Markt von grünem Wasserstoff sowie synthetischen Folgeprodukten (wie etwa klare Nachhaltigkeitskriterien) in der EU. Zugleich muss der Ausbau der erneuerbaren Energien in den MENA-Ländern seitens Deutschlands und der EU gefördert werden, beispielsweise im Rahmen weiterer/engerer Energie- und Klimapartnerschaften. Für Planungssicherheit sind auch politische Stabilität und gute Investitionsbedingungen in den potenziellen Produzentenländern von Bedeutung. Deutschland unterstützt dazu bereits einzelne potenzielle Exportländer und ermöglicht über Finanzierungsinstrumente der KfW-Bank und HERMES-Garantien verschiedene Projekte. Diese Anstrengungen für stabile Beziehungen zu den potenziellen Exportländern der MENA-Region müssen deutlich ausgeweitet werden, um eine schnelle Umsetzung zu ermöglichen und den enormen Finanzierungsbedarf zu sichern.

(1) Das Studienprojekt MENA FUELS durchgeführt haben das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, die Institute für Vernetzte Energiesysteme und für Future Fuels des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) sowie das Institut für ZukunftsEnergie und Stoffstromsysteme (IZES).

Überblick Projekt MENA-Fuels 

Länderrisiken beeinflussen die Kapitalkosten

Die Frage, welche Ländern der MENA-Region sich zu Exporteuren von grünem Wasserstoff oder Synfuels (weiter)entwickeln, ist eng mit der Frage nach dem Risiko für Investitionen und Geschäftstätigkeiten verbunden. In der MENA-Fuels-Studie wurden für jedes der 17 Länder der MENA-Region Risikoanalysen anhand von 11 Risiken erstellt. Dazu zählen interne und externe Konflikte (Bürgerkrieg, regionale Konflikte), Staatliche Eingriffe (Verstaatlichung, Steuern/Zöllen), die Qualität der Regierungsführung (Korruption, mangelnde Rechtsstaatlichkeit), die Verschlechterung bilateraler Beziehungen zum Importland, eine fehlende oder nicht ambitionierte Ausbaustrategie für EE sowie Defizite der Verwaltung (z.B. bei Genehmigungen/Lizenzierung). Auch der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften, fehlende Akzeptanz in der Bevölkerung und nicht zuletzt Naturgefahren, die Systemausfälle oder Anlagenschäden verursachen können, stellen Risiken für Inverstoren dar. Um die identifizierten Länderrisiken in Kosten abzubilden, haben die Studienersteller deren Einfluss auf die Kapitalkosten gemessen, „basierend auf der Annahme, dass mit höherem Risiko eine höhere Kapitalrendite verlangt wird, was sich in höheren Kapitalkosten niederschlägt“ (MENA-Fuels Teilbericht 8, November 2022). Die dazu ermittelten gewichteten durchschnittlichen Kapitalkosten (weighted average capital cost -WACC) für jedes Land wurden anschließend in der Modellierung der Kosten-Potenzialkurven für erneuerbaren Energien und synthetischen Kraftstoffen berücksichtigt.

© Thapana_Studio – stock.adobe.com

Im Ländervergleich weisen in allen Szenarien (Business-as-usual, positive und herausfordernde Entwicklung) Katar, Kuwait, Marokko, Oman, Saudi-Arabien, VAE und Jordanien günstige WACC-Werte auf und können als potenziell attraktive Standorte/Exportländer für grünen Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffe eingestuft werden. Am schlechtesten schneiden Jemen, Syrien, der Libanon und Libyen ab (vgl. MENA-Fuels – Teilbericht 8, Nov. 2022, S. 38).

2 Kommentare

  1. Oliver Arnheiter

    Meine Frage, kann man die aktuelle Infrastruktur der Versorgung nutzen. Wie Schiffe, LKW oder Tanklägern oder muss das in Drucktanks wie beim Gas gefahren werden?

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