Der Wasserstoff-Kompass – Orientierung für den Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur

Grüner Wasserstoff soll eine der tragenden Säulen des zukünftigen klimaneutralen Energiesystems in Deutschland und Europa werden. Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg, denn der Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur ist technisch und organisatorisch hochgradig komplex und noch mit vielen offenen Fragen verbunden. Der Wasserstoff-Kompass, erstellt von DECHEMA (Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie) und acatech (Deutsche Akademie der Technikwissenschaften), gefördert durch die Ministerien für Bildung und Forschung sowie Wirtschaft und Klimaschutz, bietet einen Überblick über dieses komplexe Thema und Einblicke in relevante Themenfelder und Herausforderungen.

Thermomanagement von E-Autos

Wasserstoff soll künftig fossile Energieträger wie Kohle, Erdgas und Erdöl ersetzen. Bereits 2020 hatte die damalige Bundesregierung unter der Führung von Angela Merkel die erste Nationale Wasserstoffstrategie erstellt. Vor allem in Bereichen, in denen regenerativ erzeugter Strom keine geeignete Alternative ist, soll Wasserstoff demnach zum Einsatz kommen: in der Industrie, im Verkehrsbereich, etwa bei schweren Nutzfahrzeugen über lange Strecken, und bei der Speicherung von überschüssigem Grünstrom gibt es vielfältige Anwendungsbereiche für Wasserstoff.

Nationale Wasserstoffstrategie der Bundesregierung

Ende Juli 2023 wurde die Nationale Wasserstoffstrategie von der aktuellen Bundesregierung noch einmal nachgeschärft. Deutschland soll bis 2030 „Leitanbieter für Wasserstofftechnologien“ werden. Wichtig ist vor allem ein schneller Markthochlauf von Wasserstoff. Unter anderem soll der geplante Aufbau der Elektrolysekapazitäten bis 2030 von fünf auf zehn Gigawatt verdoppelt werden. Aktuell werden in Deutschland 57.000 Gigawattstunden (GWh) Wasserstoff aus konventioneller Produktion hergestellt. Um für diese großen Mengen schnell ein Angebot von grünem Wasserstoff verfügbar zu machen, soll seine Herstellung finanziell gefördert werden. Parallel dazu kann auch blauer Wasserstoff hergestellt werden, er erhält aber keine finanzielle Förderung. Während grüner Wasserstoff aus der Elektrolyse von Wasser mit regenerativ erzeugtem Strom ohne CO2-Emissionen hergestellt werden kann, wird blauer Wasserstoff aus Erdgas gewonnen und das dabei anfallende CO2 aufgefangen und unterirdisch gespeichert (Carbon Capture and Storage, CCS). Bis 2028 soll ein deutsches Leitungsnetz für Wasserstoff mit einer Länge von 1.800 Kilometern entstehen.

Doch die Herausforderungen sind enorm. Es gibt weder genug Kapazitäten für die Herstellung von regenerativem Strom noch für die Elektrolyse zur Produktion von Wasserstoff. Der Aufbau eines Netzes zum Transport und zur Speicherung von Wasserstoff hat in Pilotprojekten in diesem Jahr erst begonnen. Darüber hinaus befinden sich die Technologien zur Nutzung von Wasserstoff, wie Brennstoffzellensysteme, Motoren und industrielle Prozesse größtenteils noch in der Entwicklung beziehungsweise in Demonstrationsvorhaben, die erst noch auf industrielle Maßstäbe hochskaliert werden müssen.

Der Wasserstoff-Kompass strukturiert komplexe Zusammenhänge

Der Anfang September 2023 online erschienene Wasserstoff-Kompass wurde von der Dechema Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie e.V. und der actech Deutsche Akademie der Technikwissenschaften erstellt. Er bietet einen Überblick der komplexen Herausforderungen, die mit dem angestrebten Markthochlauf von Wasserstoff verbunden sind. Gleichzeitig gibt er Orientierung durch umfassende, wissenschaftlich basierte Informationen, Daten und Fakten – von der Bereitstellung des Wasserstoffs bis zu seiner Verwendung in der Industrie, im Verkehrssektor und in der Energieversorgung. Auch übergreifenden Aspekte, wie zum Beispiel Fragen der Fachkräftesicherung oder Akzeptanz und Sicherheit und Wasserstoff werden thematisiert.

Herausforderungen bei der Wasserstoffbereitstellung

Die Herstellung von Wasserstoff basiert derzeit noch auf konventionellen Verfahren hauptsächlich unter Verwendung von Erdgas als Rohstoff. Der Wasserstoff-Kompass geht davon aus, dass die Wasserelektrolyse künftig die dominierende Technologie zur Wasserstoffproduktion wird. Unter den unterschiedlichen technischen Ansätzen zur Herstellung ist die Elektrolyse am weitesten fortgeschritten, doch auch bei der Elektrolyse gibt es verschiedene Verfahren mit unterschiedlichen technischen Reifegraden – es besteht daher noch Entwicklungsbedarf. Der Wasserstoff-Kompass stellt ihre technischen Besonderheiten vor, erläutert die Voraussetzungen und ihre Vor- und Nachteile. Auch die ökonomischen Aspekte Versorgungssicherheit, Treibhausgasemissionen, Anzahl der Projekte und Elektrolysekapazitäten sowie ihr Status werden dargestellt. Für deutsche Unternehmen ist die Kommerzialisierung der Verfahren ein Markt, der ihnen auch den Export von Elektrolyseuren als Premiumprodukt eröffnen könnte. Gleichzeitig ist der Aufbau nationaler Elektrolysekapazitäten auch ein wichtiger Schritt zur Versorgungssicherheit.

Dennoch dürfte regenerativer Wasserstoff auf absehbare Zeit knapp bleiben, so dass CO2-armer Wasserstoff als Überbrückung für den Markthochlauf erforderlich sein wird. Bei einem voraussichtlichen Bedarf von 95 bis 130 Terawattstunden im Jahr 2030 wird Deutschland auch auf den Import von Wasserstoff angewiesen sein. Ausgehend von den aktuellen Planungen könnte der Import über Pipelines eine tragende Rolle spielen, aber auch Importe per Schiff aus weit entfernten Regionen der Welt sind denkbar.

Verwendung von Wasserstoff in der Industrie

Insbesondere in industriellen Bereichen wie der Chemie, Raffinerien, Petrochemie, Stahl-, Zement und Glasindustrie besteht ein großer Bedarf an klimaneutralen Energieträgern. Der Wasserstoffkompass stellt unter anderem Handlungsoptionen für die Transformation der Energieversorgung mit Wasserstoff in diesen Branchen, ökonomische Aspekte, Energiebedarfe und Treibhausgasemissionen sowie Forschungs- und Entwicklungsbedarfe dar. In diesen Bereichen bieten sich aufgrund von ersten Projekten gute Chancen, die Technologien zur Wasserstoffproduktion zu entwickeln und auf großtechnische Maßstäbe zu skalieren.

Zum Beispiel in Raffinerien werden aktuell rund 150.000 Tonnen (entspricht 5.000 GWh) Wasserstoff pro Jahr für die Herstellung von Mineralölprodukten verwendet. Dieser fossile Wasserstoff kann direkt durch grünen Wasserstoff in der Produktion ersetzt und damit 1,4 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente vermieden werden. Raffinerien sind sehr komplexe, integrierte Anlagen, die in einem engen Verbund mit der chemischen Industrie zusammenarbeiten. Einzelne Prozesse zu skalieren oder zu entfernen, hat große Auswirkungen auf die gesamte Wertschöpfungskette. Die Fokussierung auf die Herstellung eines einzelnen Produkts, wie beispielsweise nachhaltiges Kerosin ist weder prozessbedingt noch wirtschaftlich darstellbar. Bei der Herstellung von Kerosin fallen prozessbedingt auch Benzin und Diesel sowie Naphta und Wachse an. Für diese (Vor-) Produkte gibt es bereits Absatzmärkte und sie sind wichtige Bestandteile der Wirtschaftlichkeit der Herstellungsprozesse.

Der Verzicht auf die Herstellung von Mineralölprodukten aus Rohöl bedeutet zudem, dass wichtige fossile Nebenprodukte wie Schwefel, Bitumen für den Straßenbau und Schmieröle nicht mehr auf diesem Pfad produziert werden können und klimaschonende Alternativen dafür neu entwickelt werden müssen. Der Wasserstoff-Kompass stellt die auf Wasserstoff und seinen Derivaten basierenden Optionen als Alternativen zu Rohöl, wie zum Beispiel Methanol-to-Gasoline (MtG) als Benzinsubstitut und paraffinische Kraftstoffe aus Fischer-Tropsch-Prozessen als Ersatz für Dieselkraftstoff dar.

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Mobilität und Transport mit Wasserstoff

Der Wasserstoff-Kompass erläutert, dass das Gas nur unter bestimmten Bedingungen eine Alternative als Antriebsenergie für Kraftfahrzeuge, Schiffe, Flugzeuge und den schienengebundenen Verkehr ist. Im Pkw-Bereich wird sich voraussichtlich Strom als hauptsächlicher Energieträger durchsetzen. Im Schwerlastverkehr könnte der Wasserstoffantrieb eine Alternative vor allem auf langen Distanzen werden, doch er konkurriert auch hier mit batterieelektrischen Antrieben sowie synthetischen Kraftstoffen im Fahrzeugbestand. In der Schifffahrt dürfte Wasserstoff nur eine untergeordnete Rolle spielen, weil die Wasserstoffderivate Ammoniak und Methanol als flüssige Energieträger durch ihre höhere Energiedichte deutliche Vorteile mit Blick auf die erforderlichen Reichweiten von Schiffen haben. Der Schienenverkehr basiert heute bereits zu nahezu 100 % auf Strom als Energieträger, sodass Wasserstoff voraussichtlich nur in Nischenanwendungen zum Einsatz kommen wird.

Energieversorgung mit Wasserstoff

Bei der Erzeugung von Gebäudewärme gehen laut Wasserstoff-Kompass nur wenige Akteure davon aus, dass es einen breiten Einsatz von Wasserstoff geben könnte. Nach heutigem Stand eignet sich der Energieträger eher für lokale Nah- und Fernwärmenetze, sofern die lokalen Gegebenheiten dafürsprechen.

Prozesswärme wird vor allem in der Industrie gebraucht im Umfang von etwa 472.000 GWh pro Jahr. Hier ist jeweils branchenspezifisch zu prüfen, welche Prozesse auf Wasserstoff umgestellt werden können, denn das ist nicht immer möglich. Oft können fossile Brennstoffe nur durch regenerativ erzeugte kohlenstoffhaltige Brennstoffe ersetzt werden, bei denen ein Kohlenstoffkreislauf anzustreben ist, um Klimaneutralität zu erreichen.

Strom aus Wind- und Sonnenenergie soll den größten Anteil an der Dekarbonisierung des Energiesystems übernehmen. Da regenerativer Strom nicht immer in ausreichender Menge zur Verfügung steht, könnte zeitweise zur Verfügung stehender überschüssiger Strom durch Elektrolyseverfahren in Wasserstoff und seine Derivate gewandelt und gespeichert werden. Bei Bedarf ist ihre Rückverstromung und Einspeisung ins Stromnetz möglich, was zum Ausgleich von Bedarfsspitzen beitragen und das Stromnetz flexibilisieren könnte.

Übergreifende Aspekte

Damit Wasserstoff als Energieträger in Deutschland eingeführt werden kann, müssen begleitend zum Aufbau der Infrastruktur auch übergreifende Fragestellungen wie rechtliche Aspekte, die Verfügbarkeit von Fachkräften, Akzeptanz bei Unternehmen und Gesellschaft sowie eine Aufklärung über Gefahren und Sicherheitsaspekte thematisiert und diskutiert werden. Dazu gehört auch ein zielgerichteter Einsatz von anfangs geringen verfügbaren Wasserstoffmengen und transparente Informationen über die erforderlichen Rohstoffe zur Wasserstoffherstellung sowie seine Klimawirkungen.

Auf alle diese Aspekte geht der Wasserstoff-Kompass ein und bietet neben einem Überblick auch vertiefende Informationen auf der Basis von umfangreich gesammelten Daten und Fakten. Wer hier tiefer einsteigen möchte, wird unter https://www.wasserstoff-kompass.de/ fündig. Der Kompass ist nur online verfügbar und wird zukünftig laufend aktualisiert.

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